05 Sep Erlebnisbericht aus dem Schnalstal – August 2023
Ehrlich: Ich hatte schon Schiss. Schließlich fährt man gewissermaßen ins Blaue hinein zu einer Familie in 1500 Metern Höhe und nistet sich da ein – man kennt sich nicht und außer ein kurzes Telefongespräch hatte man noch keinerlei Kontakt. Natürlich, man war durch den Verein an die Hand genommen und auch mit der Familie hätte man sicherlich öfter telefonieren können – aber warum auch? Intensiv wird man sich beim Einsatz auf jeden Fall kennenlernen, das stand fest.
Mit der Bäuerin hatte ich etwa einen Monat vor meinem Einsatz kurz gesprochen – Sie nahm mir etwas meine Angst, wohin zu kommen, wo ich mich womöglich nicht wohlfühlen würde. Nach dem Gespräch fühlte ich mich besser und langsam schubste die Vorfreude meine Angst vor der Einsatzzeit zur Seite. Trotzdem zweifelte ich nicht selten vor meinem Einsatz an mir und vor allem an meiner Selbsteinschätzung. Und außerdem fragte ich mich, warum um alles in der Welt ich nicht einfach einen Wellnessurlaub machte. Aber ein Zurück kam nicht in Frage. Durchziehen war voll programmiert.
Und so saß ich am 20. August in meinem 12 Jahre alten Nissan Micra und düste mit ihm zusammen über den Brenner nach Italien. Und ja, schon allein das war ein Erlebnis für mich, nur mein Auto und ich zusammen ab in den Süden. Das lief alles ganz gut, und mein Ziel hatte Google-Maps auch sofort gefunden: Schnalstal. Da wollt‘ ich hin. Und dann war ich kurz vor Ankunft und es wurde mir doch etwas mulmig. Erstens, weil jetzt gleich der Kennenlern-Moment war. Und zweitens war dieser Berg hinauf zum Hof ganz schön steil. Zumindest kam mir das für mein Auto so vor – und davon abgesehen auch sehr schmal (um Gottes Willen, wenn mir da jemand entgegenkommt!). Aber erstaunlicherweise gurkte ich zwar langsam aber beständig und dann doch ohne Probleme die Straße zum Hof hinauf. Dass ich richtig war, wusste ich sofort. Ich hatte vorher alles auf Instagram ausgecheckt.
Kurz durchschnaufen, dann ganz gechillt an der Tür klopfen. Die Tür öffnet sich, und ein kleiner Junge guckt mich mit großen Augen an. „Hoppa!“ sagt er und drückt mich, dann zieht er sich an mir hoch und Schwups – habe ich ein Kind auf dem Arm. Er lächelt mich an und seine Freude über einen neuen Gast war kaum zu übersehen. Die Bäuerin kommt aus der Küche und strahlt mich an. Und da wird mir klar: Das passt sowas von! Keine fünf Minuten später sitze ich inmitten von Spielzeug und vier Kindern auf dem Küchenboden und plaudere mit ihr, während ich nebenbei mit Lego-Figuren „mitspiele“ und Kaffee schlürfe. Bisschen später wird mir das Haus gezeigt, ich packe meine Sachen aus dem Auto in meine Stube und laufe kurz darauf mit der Bäuerin die Wiese hoch, wo ihr Mann noch am Rechen ist, damit ich auch ihm Hallo sagen kann. Und schon nach einer Stunde, als ich neben den beiden im Gras sitze, einen atemberaubenden Blick ins Dorf habe und wir plaudern, weiß ich: Da hab‘ ich richtig liebe, witzige, nette Leute erwischt. Das kann richtig großartig werden.
Und was soll ich sagen – das wurde es! Einsatz hatte ich überall: als Hilfe in der Küche, bei der Gartenernte, beim Gästezimmer herrichten, putzen, Kochen mithelfen, die Wiese rechen, Kühe treiben oder Heu schöpfen – da war alles dabei. Und auch hier: Das war großartig! Zwar fiel ich am dritten Tag wie ein Stock ins Bett, weil mir alles weh tat (ich meine, man schöpft ja nicht alle Tage Heu), aber ich war glücklich. Und zwar die ganze Zeit über. Und das lag zum einen daran, dass ich durch die viele Bewegung und körperliche Arbeit völlig aus meinem Büro-Alltag gerissen wurde und am Ende des Tages stolz war, wenn ich Muskelkater hatte und wusste, woher der kam. Zum anderen lag mein Glücklichsein aber daran, dass ich bei einer wunderbaren Familie gelandet war. Und mir alle unfassbar schnell ans Herz wuchsen. Egal ob bei gemeinsamen Durchschnauf-Pausen, unseren abendlichen Schnaps-Runden (mit und ohne Gäste), dem gemeinsamen Sternenhimmel-gucken (Wahnsinn!) oder einfach dieser schnell eingespielten Zusammenarbeit – ich fühlte mich so herzlich und lieb aufgenommen und war wie selbstverständlich mitten im Familienleben dieser tollen Menschen.
Und: Ich konnte alles um mich herum vergessen. Während meiner Einsatzzeit war ich wie in einer anderen Welt, alle Sorgen und Gedanken des Alltags waren weg, sie erschienen auf dem Berg so viel kleiner. Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, dann verbinde ich das mit Glück und Sorglosigkeit.
Und gelernt habe ich natürlich auch was: Neue Leute kenne ich nun, denn abgesehen von der Familie kann man auch als Gast die Herzlichkeit am Hof erfahren. Hier entstanden witzige Abende und interessante Gespräche mit Wanderern oder Urlaubern. Und ich durfte der Wirtin beim Kochen über die Schulter gucken und habe viel für mich mitgenommen. Außerdem hab‘ ich mich selbst beim Heu schöpfen kennengelernt! Nicht nur, dass ich Stellen an meinem Körper gespürt habe, welche ich vorher noch nicht kannte (Muskelkater…), sondern auch, dass es mir total Spaß macht. Heu ist toll. Kochen ist toll. Und obwohl ich vor meinem Einsatz vor jeglichen Zusammentreffen mit Kindern eher zurückgeschreckt war und keine Ich-kanns-total-mit-Kindern-Person bin, muss ich sagen: Ins kalte Wasser geschmissen wurde ich, aber sie sind mir ziemlich ans Herz gewachsen. Das hätte ich nie geglaubt, hätte mir das vorher jemand gesagt.
Als dann Mitte meines Einsatzes eine weitere Helferin kam, die genauso herzlich aufgenommen wurde, konnte ich einen Tag wandernd die Gegend erkunden und meinen freien Tag genießen. Und hatte eine superliebe, wunderbare Zimmergenossin, die ich, obwohl wir uns nur drei Nächte das Zimmer teilten, durch die enge Zusammenarbeit und den „gemeinsamen Einsatz“ sehr schnell liebgewann.
Durch eine Unwetterwarnung musste ich einen Tag früher nach Hause fahren als geplant. Und nach einer Woche auf dem Hof fiel mir der Abschied sehr schwer. Ich konnte meine Tränchen nicht alle verdrücken.
Glück, Sorglosigkeit. Und Ehrlichkeit. An diesem Ort findet man Glück. Dort entsteht Sorglosigkeit. Und dieser Hof badet in Ehrlichkeit: Nahbar, menschlich, aufgeschlossen, herzlich – alles unverblümt ehrlich. Und so ist mein Fazit zu meinem Einsatz: Das war wunderbar und zauberschön. Leute macht das. Das lohnt sich!