Erlebnisbericht aus dem Pustertal September 2019

Erlebnisbericht aus dem Pustertal September 2019

Ein Erfahrungsbericht

Elina Ryvkina

Einsatzzeitraum: 18.09.2019 – 25.09.2019

Ein zweites Zuhause in Südtirol. Ich denke, dass dieser Satz am treffendsten meinen Aufenthalt in Worte fasst.

Im Rahmen meines einwöchigen Aufenthaltes lernte ich nicht nur die täglichen Aufgaben auf einem Bergbauernhof kennen und lieben, sondern schloss eine – meiner Wahrnehmung zufolge – unheimlich enge und familiäre Beziehung zu einer Familie, deren Leben von dem meinen, trotz vermeintlich geringer geographischer Entfernung, in vielen Aspekten verschieden ist.

Angekommen bin ich an einem sonnigen Dienstag, um sogleich mit den zur selben Zeit heimkommenden Kindern der Familie – welcher der Hof gehört – bekannt gemacht und von ihnen begrüßt zu werden. Im Zuge meines Aufenthaltes würde ich der bunten Truppe im Alter von zwei bis sechs Jahren etliche Semmeln aufschneiden und mit der wahnwitzigen Kombination aus Butter und Sultaninen belegen, Haare flechten, Gute-Nacht-Geschichten vorlesen, und mein Bestes versuchen, mich als gute Spielpartnerin zu beweisen. In der mir vom Verein ermöglichten Priorisierung verschiedener vorgeschlagener Höfe war es mir wichtig, an einen Hof mit Kindern zu kommen – und die drei Kinder der Bauersfamilie waren eine Verwirklichung dieses Wunsches.

Nach einer Tour des Hofes, an welchem ich mich – trotz suboptimaler Orientierungsfähigkeiten – innerhalb weniger Tage bereits im Dunkeln auszukennen vermeinte, besprach ich den kommenden Tag mit der Bäuerin und legte mich voller Erwartung einer spannenden und herausfordernden Woche schlafen.

Und diese Erwartung bewahrheitete sich vollends: Sogleich am ersten Tag wurde ich in den Alltag am Hof eingeführt und konnte mich direkt einbringen: Nach einem – im wahrsten Sinne des Wortes – frühen Frühstück um halb sieben wurden die drei Kinder für die Schule gerichtet, Betten gemacht, und die Küche abgeräumt. Dies mag noch sehr unspezifisch für einen Bergbauernhof klingen, doch jene Spezifizierung ließ nicht lange auf sich warten: Mit meinem sich in den folgenden Tagen als treuen Arbeitspartner etablierenden Altbauer, welcher weiterhin voller Tatendrang am Hofe lebt und arbeitet, steckte ich den Zaun für einige der Kälber des Hofes neu und durfte erleben, dass mir ein Herr im Alter von stolzen 80 Jahren auf einem steilen Hang an Agilität und Mobilität in nichts nachsteht – ganz im Gegenteil! Nach der Richtung des Zaunes konnten die Kälber auf die Weide getrieben werden; das dafür notwendige, kräftig gerufene „Hej!“ wurde im Laufe der kommenden Woche zu meinem Stammvokabular.

Danach ging es weiter in den Garten, in welchem ich mit der Bäuerin Bohnen pflückte und mich an der Vielfalt an Sorten nur so sattsehen konnte. Großartig war das anschließende Kochen eines Mahls mit unserer Ernte: Das Stadtkind in mir wurde Zeugin wahrer Bio-Qualität, unter Verzicht intransparenter Siegel und undurchschaubarer Produktherkünfte. Nach einer kurzen, stärkenden Mittagspause ging es geschwind weiter: Ich half bei Hausaufgaben, pferchte und befreite die Hauseinfahrt von Steinen gemeinsam mit Anna und den Kindern, pflückte mit Ihnen daraufhin Holunderbeeren, ging spazieren und brachte schlussendlich eine müde Kinder-Truppe mit einer Gute-Nacht-Geschichte ins wohlverdiente Bett. Ein 15-stündiger Tag voll neuer Eindrücke endete für mich nach einem gemeinsamen Abendessen mit dem Bauer und der Bäuerin; und auch ich hatte wahrlich das Gefühl, meinen Schlaf recht verdient zu haben.

Die Eindrücke der folgenden Tage standen jenen des ersten in nichts nach: Nebst der täglichen Routine, welche insbesondere geprägt wurde durch die von Kindergarten und Schule definierten Tagesabläufe der drei Kinder, standen Stall-, Scheunen-, Garten- und Haushaltsarbeiten auf dem Programm. Doch Eintönigkeit kehrte nie ein, denn – und dies lehrte mich die Bäuerin in meinen ersten Tagen am Hof – auf einem Bauernhof kann aufgrund der Unvorhersehbarkeit seiner natürlichen Abläufe nur bedingt geplant werden. Ob entlaufene Kälber oder spontane Waldexkursionen auf der Suche nach Fußbällen, welche mit von Kuhdung verschmierten Schuhen endeten – langweilig wurde es nie! Und genau dies machte für mich das Leben aus, welches mich täglich früh aus dem Bette brachte: Eine geplante Unplanbarkeit, eine unvollkommene Vollkommenheit im Umgang mit der Natur, sowie eine Lebensfreude, mit welcher die gesamte Familie inmitten all dessen ihren Platz im Leben gefunden hatte.

Als besonderes Highlight blieb mir die Wanderung über den Gitschberg in Erinnerung, welche ich mit der Familie an meinem freien Tag, welcher auf den Sonntag fiel, unternahm. Mit Proviant gerüstet ging es mit der Bergbahn zunächst zur Gitschhütte, von welcher aus wir wieder zurück zur Mittelstation wanderten. Trotz Kälte und spürbar hoher, nebelbedingter Luftfeuchtigkeit, erfuhr ich auf diesem Ausflug die schier grenzenlose Schönheit des Jochtals. Und wurde nebenher Zeugin der beeindruckenden Ausdauer einer Zweijährigen – ein Leben auf dem Bergbauernhof formt wohl oder übel zukünftige Ausdauerathleten! Durchgefroren, aber glücklich kehrten wir nach Hause zurück; selten habe ich mich mit größerer Freude der Zubereitung einer wärmenden Suppe zugewendet!

Ich kam als Stadtkind, und ging wahrscheinlich auch als eines. Doch meine Ansichten in vielerlei Hinsicht wurden um die Eindrücke am Hof mannigfaltig bereichert: Ich lernte, was es heißt, im Einklang mit der Natur zu leben. Ich genoss den morgendlichen Geruch von Mist und Heu, sowie den Geschmack frisch gemolkener Milch. Ich schmunzelte innerlich bei dem treuen Blick eines Kalbes und staunte täglich bei einem Blick hinaus auf die stets anders aussehenden Weiten des wunderschönen Pustertals. Ich erlebte die vollbrachte Arbeit nicht nur als solche, sondern vielmehr als natürlichen Bestandteil meines Tages, dessen Ablauf so viel anders ist, als in der Stadt daheim in Deutschland. Allem voran allerdings erlebte ich bedingungslose Wertschätzung vonseiten einer Familie, welche für mich eine Woche lang die Pforten zu ihrem Leben öffnete, und mir zugleich mit größtem Interesse an dem meinen begegnete.

Und dafür sage ich danke: Danke an die Familie, für Ihre Gastfreundschaft, Herzlichkeit und ansteckende Lebensdynamik.
Doch ein ebenso großer Dank geht an den Verein für freiwillige Arbeitseinsätze: Ohne die einwandfreie und reibungslose Organisation wäre mein – mit einer Vorlaufzeit von lediglich drei Wochen sehr spontaner – Aufenthalt am Hof nicht zu der Erfahrung geworden, welche ich erlebte.

In diesem Sinne kann ich eine große Empfehlung aussprechen: Engagieren Sie sich, nehmen Sie den Weg in das wunderschöne Südtirol auf sich – und erleben Sie das wahre Leben auf einem Bergbauernhof, abseits von der Hektik und lähmenden Schnelllebigkeit der Städte.