Erlebnisbericht aus dem Vinschgau (II) August 2020

Erlebnisbericht aus dem Vinschgau (II) August 2020

Knecht auf Zeit 2020

Herzliche Grüße aus meiner Heimat im Welterbe Oberes Mittelrheintal an die lieben Menschen auf dem Hof inmitten der herrlichen Natur des Vinschgau und in der Geschäftsstelle des Vereins für Freiwillige Arbeitseinsätze in der städtischen Metropole Bozen.

 Nun bin ich schon wieder seit drei Wochen zurück aus den Südtiroler Bergen in der gewohnten Umgebung meiner Heimat hier am Mittelrhein. Auch die Gedankenwelt hat sich wieder auf das fokussiert, was das tägliche Leben hier in der Familie, im Dorf, im Freundeskreis ausmacht. Man muss sich schon die Zeit nehmen, zu Hause wieder „anzukommen“. Die Wochen auf dem Berg haben`s nämlich in sich. Eine unbeschreibliche Fülle von Eindrücken, Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen, gepaart mit einer gehörigen Portion körperlicher Anstrengung wartet dort.

. . . zum sechsten Mal

So erging es mir auch wieder in diesem Sommer, meinem sechsten Arbeitseinsatz im Vinschgau. Natürlich hat das Ganze dann schon Struktur. Ich hab das Jahr über immer wieder mal Kontakt zu „meiner“ Bergbauernfamilie, stimme das Zeitfenster meines Arbeitseinsatzes mit der Bäuerin ab und weiß im Wesentlichen, was mich erwartet. Dennoch ist es für mich aus dem entfernten und eher flachen Südwesten Deutschlands ein völlig anderes Wirken, Schaffen und Leben auf dem Berg. Die ersten Tage spürt man im Besonderen wieder die Höhe dort auf 1800 Metern, das Auf und Ab und die körperliche Anstrengung z.B. bei der Heuernte oder beim Zaunmachen. Man freut sich auf die Erholungsphasen beim Kaffee, dem Mittagessen, die kleine Auszeit danach und bald auch schon wieder auf die abendliche Marende und die Ruhe der Nacht.

. . . Heubaden

Der Schwerpunkt während meines diesjährigen Arbeitseinsatzes lag auf der Heuernte. Das drum herum hatte ich im vergangenen Jahr beim zweiten Schnitt schon erfahren. Also hoffte ich auch diesmal mit den Bauersleut auf das Ausbleiben des Regens und das gehörige Maß an Sonnenstunden um ein gutes Heu unter Dach und Fach zu bringen. Im vorigen Jahr hatte ich auch schon gelernt, dass man auf dem Berg von HEUERNTE spricht; die Bergwiesen werden abgeerntet. Auch das für mich ein Beleg für die Nähe und den Respekt der Bergbauern vor der Natur. Es wird nicht einfach Heu gemacht, so die Redewendung in unserer Region.

Auf dem Berg sind jeder Quadratmeter und jede noch so steile Böschung wichtig, und so wurde bei uns auch eine lange Wegeböschung von Hand gemäht. Die stand über und über voll mit Wiesenblumen und Kräutern und schon als ich das Gras zum Trocknen wendete umgab mich ein angenehmer Duft.

Wir haben dann am nächsten Abend das Heu mit dem Ladewagen eingeholt und ich lief mit dem Rechen hinterher und da stieg mir dieser Duft von getrocknetem Gras, Blumen und Kräutern noch intensiver in die Nase und mit einem Mal erinnerte es mich an meine Kindheit, als ich auf dem von zwei Fahrkühen gezogenen Heuwagen meines Großvaters saß, eingehüllt in genau diesen Duft der Natur und die Kühe trotteten langsam Richtung Hof.

… Kulturgeschichte pur

Trotz aller Arbeit gibt es sie auch; die freie Zeit, und die nutzen wir am Küchentisch bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee oder einem Glas Wein zum Austausch oder zur Lektüre aus dem Bücherschrank. Als Hobbyhistoriker habe ich Gefallen gefunden an der Geschichte und den Menschen in Südtirol und diesen Spuren gehe ich gerne auch bei meinen in Absprache mit der Bäuerin eingelegten Wandertagen nach. In diesem Jahr habe ich das eindrucksvolle Kloster Müstair im Münstertal besucht und besichtigt und meine zweite Wanderung führte mich in das wunderschöne Laaser Tal zur Oberen Laaser Alm.

. . . ein Geben und Nehmen

So lernte ich in den zurückliegenden Jahren das Land und die Menschen im Oberen Vinschgau kennen und schätzen und wenn die Arbeit auf dem Berg auch noch so herausfordernd ist; für mich ist es ein Geben und Nehmen. Am ehesten spüre ich dies bei der Heimfahrt und die ersten Tage zu Hause. Zwar fühle ich mich körperlich ziemlich geschafft, doch spüre ich in mir eine große Zufriedenheit und Dankbarkeit, ja, auch ein Stück Demut „vor dem großen Ganzen“. Ja, und ich bin auch stolz auf mich, auch in diesem Jahr wieder die Südtiroler Bergbauernhilfe unterstützt zu haben.

Neckenich Alfred