Schwäbisches Tagblatt – September 2019

Schwäbisches Tagblatt – September 2019

Bergwiese statt Meeresstrand

Freizeit Das Göttelfinger Ehepaar Ute und Markus Schneider fuhr mit Fahrrädern von Eutingen bis nach Südtirol und half dort auf einem Bergbauernhof eine Woche lang bei der Heuernte. Von Alexandra Feinler
Die Göttelfingerin Ute Schneider hatte über eine Bekannte vom Verein „Freiwillige Arbeitseinsätze in Südtirol“ erfahren. Der Verein vermittelt Helfer, die eine Zeitlang auf einem von 300 Bauernhöfen ehrenamtlich mitarbeiten und dafür Kost und Logis bekommen. Getragen wird die Bergbauernhilfe von der Caritas, der Lebenshilfe, dem Jugendring und dem Bauernbund. „Das sind keine Ferien auf dem Bauernhof“, betont Schneider. Schon bei ihrer Vorabrecherche las sie, dass nur an Bergbauernfamilien vermittelt werde, die ihre Arbeit unter Extrembedingungen umsetzen müssen. Dafür erhalten sie von der Regierung nur eine kleine Unterstützung. Sie seien auf ehrenamtliche Helfer während der Haupterntezeit angewiesen, berichtet Schneider.
Die Göttelfingerin wuchs in einem landwirtschaftlichen Betreib auf. Ihren aus der Nähe von Passau stammenden Mann Markus musste sie kaum zu dem Einsatz überreden. Das Paar setzte bei der Bewerbung die Prioritäten auf Helfen bei der Heuernte und im Haushalt. Der Verein schlug ihnen daraufhin fünf Höfe vor. Ute und Markus Schneider brachten sie in eine von ihnen bevorzugte Reihenfolge. „Es ist aber nicht sicher, dass du auf den Hof kommst, den D du favorisierst“, sagt Ute Schneider. In deinem ausgewählten Zeitraum muss auf dem Hof auch noch etwas frei sein. Die Schneiders hatten Glück. „Der Bauer war uns gleich sympathisch, als wir ihn am Telefon hatten.“ Vor ihrem eigentlichen Einsatz fuhren sie hin, um sich einen Eindruck vom Hof zu machen. Dazu nahmen sie die Fahrräder. In den Pfingstferien fuhren sie von Göttelfingen Richtung Bodensee und weiter über Arlbergpass und Reschenpass bis nach Meran. Diese Route nahmen sie Ende Juli ein zweites Mal. Jetzt lag der Arlbergpass nicht mehr im Nebel. Am 2.August erreichten sie den Südtiroler Bergbauernhof.
Ausruhen war nicht vorgesehen
Ausruhen war nach der anstrengenden Radtour nicht vorgesehen. Gleich am nächsten Morgen half Markus Schneider dem Landwirt bei der Heuernte auf 2100 Metern. Ute Schneider hatte bereits um sechs Uhr morgens das Frühstück vorbereitet, der Landwirt molk da noch die Kühe. Der große Milchbottich wird jeden Tag von einem LKW abgeholt. Zur Heuernte stiegen die Männer mit Netzen und Geräten bepackt, 400 Höhenmeter bergan zu den Bergwiesen. „Ich bin sportlich“, sagt Markus Schneider, „aber das war wirklich anstrengend.“ In den Pausen zwischen dem Mähen gab es Suppe aus der Thermoskanne und Handvesper. „Am ersten Tag hatten wir eine gefrorene Pizza eingepackt, die während des Aufstiegs hätte auftauen sollen.“ Es sei aber nicht warm genug gewesen. So blieb die unterste Schicht gefroren. „Doch wir hatten so Hunger, was hätten wir tun sollen?“, erzählt Markus Schneider lachend. Der Pizzaboden habe noch geknistert. Der Blick blieb immer auf das Wetter gerichtet. Denn das gemähte Gras durfte nicht nass werden. Vieles wurde von Hand gemacht. Zum Mähen hatte Landwirt Sepp aber einen Balkenmäher. „Ich frag mich heute noch, wie der den Mäher auf den Berg bekommen hat.“ Weit und breit seien kein Weg, geschweige denn eine Straße gewesen. Am zweiten Tag wurde das Gras gewendet und zusammengerecht. Am dritten Tag kam es als Heu in die Netze. Fast schon „ausgekämmt“ habe der junge Landwirt die hügelige Alm, berichtet Markus Schneider. Das sei schon eine „Kunst für sich“ gewesen. Das „kostbare grüne Gold“ verfüttert der Landwirt an seine Kühe. „Du musstest aufpassen, dass du nicht auf das gemähte Heu trittst, sonst rutschst du am Steilhang aus“, erklärt Ute Schneider, die beim stundenlangen Rechen mithalf. An der Seilbahn-Bergstation wurde dann Netz für Netz eingehängt und über ein Drahtseil zur Mittelstation „geschossen“. „Das hat geknallt,“ berichtete das Ehepaar. 36 Netze müsste ein Helfer an der Mittelstation umhängen und zur Talstation „schießen“.
Als Freunde gegangen
Dort wurde das Heu ausgepackt und lose auf den Heuwagen gelegt. Jeden Abend holten die Schneiders die Kühe von der Weide. Bauer Sepp brachte sie dann in den Stall. „Da hat jede Kuh ihren Platz, ansonsten geraten die in Stress.“ Ute Schneider freundete sich mit der Kuh Lea an. Am Abend aßen alle Helfer des Hofes gemeinsam. Essen gab es zwischen halb neun und halb zehn. Danach fielen sie todmüde ins Bett, berichten die Göttelfinger. Eigentlich wäre der Sonntag der freie Tag des einwöchigen Helfer-Urlaubs gewesen. Doch für Mittwoch war schlechtes Wetter angesagt und so wurden die Arbeitstage Sonntag und Mittwoch getauscht. „Er hat uns immer gefragt: ‚Könnt ihr noch? Geht das so?‘ Man muss nichts machen, was man nicht leisten kann“, erklärt Ute Schneider. Sie habe sich bald heimisch auf dem Hof gefühlt. „Der Spruch stimmt einfach: Du kommst als Fremder und gehst als Freund.“ Durch die harte Arbeit haben die Schneiders einen noch intensiveren Bezug zu Lebensmittel bekommen. „Wir haben vorher schon nichts weggeworfen, aber wenn man sieht, wie hart der Landwirt für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, dann weiß man, welch hohes Gut man hat.“ Ute Schneider verarbeitete jeden Tag die Lebensmittel, die zur Verfügung standen: Eier, Milch und Milchprodukte. Am freien Tag erkundeten sie mit dem Fahrrad den Nachbarort Pfelders. „Uns hat es dort einfach gefallen.“ Eine weitere Wochen hätten sie jedoch nicht arbeiten wollen. Da es „zu happig“ gewesen wäre, mit dem Fahrrad wieder zurück zu fahren, ließen sich Ute und Markus Schneider von Verwandten mit dem Auto abholen.
Wollen Erfahrung nicht missen
„Ich wollte Sepp zusagen, dass wir nächstes Jahr wieder kommen“, sagt Ute Schneider mit einem Glänzen in den Augen. „Aber Markus meinte, wir wissen doch nicht, was in einem Jahr passiert.“ Beide sind sich jedoch einig, dass die Zeit in Südtirol mit der Heuernte eine unvergessliche für sie war und dass sie diese Erfahrungen nicht missen möchten.